Bericht vom 14. Wohnprojektetag in NRW (9. September 2016).
Wenn eine Hausgemeinschaft mehr sein soll als nur eine gute Nachbarschaft, dann gilt es zu definieren, was dieses „mehr“ denn ausmacht. Und da gibt es so viele Ansätze, wie es Wohnprojekte gibt. Auch für uns Residenten ist die Frage nach dem „mehr“ noch lange nicht entschieden.
Ich habe mich auf den Weg nach Bochum zum 14. Wohnprojektetag in NRW gemacht, um dieser Fragestellung nachzuspüren. WohnBund-Beratung NRW und Stiftung TRIAS hatten mit der Veranstaltung schwerpunktmäßig das Thema aufgeworfen, in welcher Hinsicht Wohnprojekte Selbstversorger werden können.
Wie viel „mehr“ soll es denn sein?
Eigenes Kulturzentrum? Eigene Pflegestation? Eigene Kita? Eigener Strom? Oder gar ein Selbstversorger-Bauernhof mit gemeinschaftlicher Ökonomie? Für alle diese Aspekte gab es im ersten Teil der Veranstaltung Referenten aus Projekten, die dies realisiert haben. Der weitreichendste Ansatz wurde vertreten durch das Projekt gASTWERK e.V., einem ländlichen Projekt mit BIOLAND Gärtnerei, Hofladen Homöopathie-Praxis und ca. 1.000 qm Bürofläche. Dort wohnen und arbeiten 25 Erwachsene und 16 Kinder; die Organisationsform ist ein gemeinnütziger Verein.
Die gASTWERKler leben nach eigenem Selbstverständnis seit 2009 in einer Kommune, für die das Teilen nicht nur Car-Sharing und Werkzeuge umfasst, sondern auch das eigene Einkommen. Wie kann eine so weitgehende Form des „Miteinander“ funktionieren? Steffen Emrich von gASTWERK e.V. gab knackige Antworten:
„Man muss es wollen.“
Und: „Man darf den Konsens nicht aus den Augen verlieren.“
Vertiefend stand Emrich im zweiten Teil der Veranstaltung in einer offenen Diskussionsrunde zur Verfügung, um das Thema der Entscheidungskultur in Wohnprojekten näher zu beleuchten. Spannend für mich war dies insbesondere, weil die gASTWERkler methodisch mit dem Konzept von „Dragon Dreaming“ arbeiten, das wir Residenten auf unserem Workshop Anfang September kennen und schätzen gelernt haben.
Keine Verlierer kreieren
Kern ist die gegenseitige Achtung aller im Projekt tätigen Menschen in ihrer Verschiedenheit. Die immer wiederkehrenden Phasen von Projekten erfordern jeweils unterschiedliche Befähigungen. So ist jeder wichtig, jede trägt zum Gelingen bei. Auch das Systemische Konsensieren wurde erörtert, an welches wir Residenten uns mit der gebührenden Sorgfalt als Entscheidungshilfe derzeit herantasten. Hier geht es darum, nicht durch die Anwendung des Mehrheitsprinzips laufend „Verlierer“ zu kreieren, sondern durch konsequentes Erforschen der Gründe für ein „Nein“ und durch Berücksichtigung dieser Widerstände zu einer immer besseren, letztlich auf Konsens beruhenden Entscheidung zu kommen.
Neugierig bin ich geworden auf das bisher nur dem Namen nach geläufige Modell der Soziokratie. Hier geht es um eine Organisationsform, die das Herstellen von Konsens auch in größeren sozialen Zusammenhängen ermöglicht, und damit um einen qualitativen Sprung in der Weiterentwicklung des Demokratieprinzips. Mal schauen, ob wir auch davon lernen können!